Morz in Ireland

Aufgrund des vielfachen Interesses an meinen Reiseberichten (da freut er sich) hier ein nachträglich gebasteltes Weblog zum nochmal genau nachlesen. Viel Spaß dabei und hoffentlich sieht man sich bald mal wieder....

09 Juni 2006

Reisebericht aus Dublin, die dritte

Liebe Freunde,

der Plan, die Weltherrschaft zu erringen, ups, aehh, ein Insider Dublins zu werden, macht weiter Fortschritte. Zwar hat sich die alte Bibliothek ein zweites Mal erfolgreich weigern koennen, von mir betreten zu werden, aber so leicht geb ich nicht auf. Irgendwann erwisch ich sie schon offen. Dafuer hat die Geschichte mit dem Jazz geklappt. Man stelle sich ein kleines Strassencafe mit dem typisch irischen Namen "Cafe en Seine" vor. Wenn man sich an den (hier in Jacket und Fliege gekleideten) ortsueblichen Tuerstehern (sehr schoen im Engl.: Bouncer) vorbeitraut, erwarten einen unerwartet hohe grosse Hallen, besser Salons, ueber und ueber voll mit franzoesischem Mobiliar und Kitsch des ausgehenden 19.Jhd. Es gibt so viel Platz, dass man gar nicht merkt, dass der Laden bereits voll ist. Ich hab mich dicht an die aufbauende Band gesetzt und angefangen, Postkarten zu schreiben. Die Musik war exzellenter Old School Jazz und Dixiland mit einer Band deren Durchschnittsalter auf persoenliche Kontakte zu Louis Armstrong und John Lee Hooker schliessen laesst. Aber koestlich amuesiert haben die sich. Auf jeden Fall besser als das Publikum. Wenn eine alte Freundin ins Lokal kam, wurde mal kurz fuer ein paar Takte zu spielen aufgehoert, gegruesst und wieder eingesetzt. Echte Musiker eben....
Ausserdem bin ich am Montag zufaellig ueber den grossen Mini-Marathon der Frauen (schon jaehrlich Institution) gestolpert. War ja auch nicht weiter schwierig, da ja die gesamte Suedhaelfte der Stadt dafuer gesperrt war. Bemerkenswert war dabei, dass einerseits wohl die Haelfte der weiblichen Bevoelkerung Dublins mitgerannt sein muss, so voll war's, und dass praktisch alle T-Shirts mit Institutionen, fuer die sie laufen, anhatten und diese durchaus politischer Natur waren, wie Hospizbewegungen, Brustkrebshilfegruppen oder Frauenhilfevereine. Und das in einem Land, in dem Abtreibung per Grundgesetz verboten ist und Frauenzeitschriften aus Klamotten und Kinder aufziehen bestehen. Hut ab. Aber genug der Lobhudelei. Sind ja keine irischen Frauen im Verteiler.....
Mein persoenliches Ziel fuer Dienstag war es, eine Versorgungszentrale fuer Brot zu finden! Versteht mich nicht falsch; es gibt genug Brot hier. Ist nur alles fluffiges Weissbrot. Versuch da mal einfach nur Honig draufzuschmieren. Reissfest wie Zuckerwatte! Mehrere Tescos, Centras und Spars spaeter bin ich auf einen voellig ueberfuellten Lidl direkt am Markt gestossen. Und was gab's da? Das letzte Sonnenblumenkernbrot. Zwar musste ich mich gegen ein paar Oesterreicher durchsetzen, aber am Ende war der Stefan gluecklich. Kurz danach viel mir auf, dass das gesamte Sortiment quasi aus der Berliner Strasse in Pdm nach Dublin transferiert worden war. Und zwar mit denselben Preisen. Nicht dass ich im Ausland versuche, mich weiter "deutsch" zu ernaehren, aber Brot und Saft sind wohl nicht zu ersetzen.
Meine Anekdote fuer Mittwoch betrifft ein Filmfestival, dass gerade in Dublin angefangen hat. Da werden in ausgewaehlten Pubs, dem Filminstitut und auf einem Platz mitten im Ausgehviertel (Open Air) Filme gezeigt. Irische Low Budget Produktionen, die man sonst nicht zu sehen bekommt. Toll, dacht ich mir. Stefan, als selbstbezichtigter Cineast nimmst du das mit! Gesagt getan. In die Stadt. Zum Open Air Kino. Und schon wunder ich mich, warum am Einlass ein Haufen Menschen stehen und drinnen ne Handvoll. Ich fand sofort raus, dass das Filmfestival von nem Filmverein veranstaltet wird und nur Mitglieder rein duerfen, da unzensierte Filme gezeigt werden. Kein Problem: Mitgliedschaft fuer das Festival kostet nur 1 Euro und jede Karte dann 2. Haken: das zugehoerige Buero hat natuerlich schon zu und selbstverfreilich steht keiner vom Club am Einlass. Soviel zu irischem Organisationstalent. Zum Glueck hatte einer der Eintrittsberechtigten noch ne zweite Karte und der Stefan stand grad guenstig am Eingang. Da sass ich nun mit dem Haufen Cineasten und schaute mir den zweiten Horror-/Splatterfilm an. Aber der war richtig gut gemacht. Die Story natuerlich selten sinnlos wie immer (BSE erkrankte Kuehe fangen an, Menschen anzufallen und alle werden auf einmal Menschenfresser. Ein sich in der irischen Provinz verirrtes Paerchen versucht zu ueberleben. Und schafft es, ... ,nicht!), aber die Dialoge waren sehr witzig und menschenfressende Kuehe sind einfach zu bloed um schlecht zu sein.
Gestern bin ich dann in der Mittagspause schnell in besagtes Buero, um Filmclubmitglied zu werden und hab mir gleich ne Karte fuer den 20Uhr Film geholt. Da bin ich dann auch hin (ein toller fantasievoller Film ueber einen vertraeumten irischen Provinzler, der Schriftsteller werden moechte). Am Abend bin ich dann noch mit einer Bosnierin im polnischen Viertel chinesisch Essen gegangen, um mich nachher noch mit ihren argentinischen und spanischen Freunden in nem irischen Pub zu nem hollaendischen Bier ueber die Weltmeisterschaft in Deutschland zu unterhalten. Es ist ziemlich multikulturell hier. Heute hab ich dann noch anderthalb Stunden in einem Bus zum Flughafen im Stau verbracht(wenn der Busfahrer sich nicht noch spontan ueberlegt haette, vorneweg ne halbe Stunde Pause zu machen, bei einem Bus, der alles 15Min zum Flughafen unterwegs sein sollte, haette ich durchaus noch rechtzeitig da sein koennen), um ein Maedel vom Flieger abzuholen und (nach weiteren anderthalb Stunden zurueck zum Stadtzentrum = 15km) in einen Bus nach Cork zu stecken, konnte ich mich dem Weltmeisterschaftsfieber nicht mehr entziehen und hab mich zu nem Haufen Iren und Deutschen in den Pub gesetzt. Und auf einmal ist man mittendrin. Ein Oohh hier. Ein Ahh da. Ein Watndat dazwischen. Und ein Pint in der Hand. War'n klasse Spiel, muss ick schon sagen. Und das Tor von Frings in der 87.: Sahne. So, jetzt ziehen schon die groehlenden polnischen Fans durch die Stadt, d.h. Zeit fuer mich, in den Schmelztiegel zurueckzukehren. Allen, die waehrend des email-Lesens noch nicht eingeschlafen sind, wuensche ich noch ein schoenes sonniges Wochenende und ich schreib bald wieder (wahrscheinlich eher, als euch lieb ist). Alles Gute und carpe diem

Euer Stefan