Morz in Ireland

Aufgrund des vielfachen Interesses an meinen Reiseberichten (da freut er sich) hier ein nachträglich gebasteltes Weblog zum nochmal genau nachlesen. Viel Spaß dabei und hoffentlich sieht man sich bald mal wieder....

19 Juni 2006

Reisebericht aus Dublin, Nummer 4

Liebe Freunde,

wie geht es euch? Ich hoffe doch gut. Ich komme grad ausm Kino und dem Film "Lobo". Laeuft der auch in Deutschland? Was fuern guter Film ueber Spanien unter Franco und die ETA! Ich bin daher noch ein bisschen mitgenommen. Wuerd gern wissen, wie der in Spanien ankommt. Wahrscheinlich aehnlich gut aber gespalten wie in Deutschland "Das Leben der Anderen". Wie es scheint, ist gerade die Zeit der Geschichte-aufarbeiten-Filme, denn demnaechst kommt hier in Irland "The wind that shakes the barley" raus. Gedreht wurde der naemlich von dem Briten(!) Ken Loach, spielt um 1920, der Zeit des Anglo-Irischen "Krieges", ist aber eher pro-irisch! Aber nun zu meinen neuen Erlebnissen im Land der Lepreachans, des Guinness und der Schafe. Was bisher geschah: Letzten, nee, ueberletzten Samstag hab ich eigentlich vorwiegend gefaulenzt. Ich versuch ja immernoch das "Ramayana" durchzulesen, bin aber immer noch im vierten Buch. Abends dann bin ich dann in die Christ Church Cathedral gegangen. Da gabs naemlich ein paar Bachmotetten inkl. kleinerer Orgelwerke zu hoeren. Die Orgel kann man zwar vergessen (nichts ist schlimmer bei einem Orgelkonzert, als eine fehlplazierte Orgel, bei der der Klang unterschiedlich lang braucht, durch die Gewoelbe zu stromern und dabei zu klein ist, um den Raum zu fuellen), aber der 20koepfige Chor war grandios. Alles a capella und glasklar. Und die haben den gesamten Raum der Kathedrale nutzen koennen! Aber genug der Konzertkritik! Abends hab ich dann die Stephie (v.W.) vom Busbahnhof abgeholt und wir sind zu einer Party bei Freunden gegangen. Fuer Sonntag war dann endlich die Chester Beatty Library dran. Beeindruckend, sag ich euch. Der Mann hat ueberall in der Welt (neben anderen Dingen) religioese Schriften und Reliquien gesammelt und dabei u.a. eine der wichtigsten und besten Koransammlungen zusammengestellt. Da bezahlt man im Trinity College 8Euro um 2 Seiten einer bebilderten Bibel des 8 Jhd. (Book of Kells) zu bestaunen (ist schon toll), um dann fuer umsonst in die Chester Beatty Library zu gehen und biblische Pergamente des 2(!!!) Jhd. anschauen zu koennen; oder buddhistische Palmblattschriften. Toll sind auch die "Christentum links, Islam rechts und Hinduismus geradeaus"-Schilder. Montag, nach der Arbeit, wollten wir dann in ein beruehmtes Jazzlokal. Wir fanden es dann eine halbe Stunde spaeter in einer kleinen, aber schicken Ecke Dublins und waren sichtlich erstaunt, als der Einlasser 8Euro von uns haben wollte, denn es stand ja "Admission free" in der Zeitung. Diese wurde daraufhin eingehend studiert und natuerlich fuer Nonsens befunden. Man amuesierte sich aber mehr ueber die anscheinend schon bekannte Bloedheit des Schreiberlings, als sich aufzuregen. Daher kam es auch, dass der Pianist der Combo (ca. die 10. Person, der wir die Zeitung zeigen sollten) dann sagte: "Es steht da, also stimmt das fuer die beiden!" Klasse. Und so gabs in einem schoen schummerigen Jazzlokal eine tolle Session mit Martini, glaub ich, Free Jazz und leider ohne den zum Abiente passenden Zigarettenqualm. Dienstag fuhr Stephie dann wieder zurueck nach Cork und ich ging abends in die National Concert Hall, um mir Tschaikowski und Bernstein anzuhoeren. Der Kartenpreis reduzierte durch vorzeigen meines Studentenausweises unerwartet von 15Euro auf 5Euro. Das Geld hab ich trotzdem ausgegeben, als ich einem Arbeitskollegen in der Pause ein Glas Weisswein ausgab. Shit. Erst auf die Preise schauen. War trotzdem ein tolles Konzert mit hingebungsvoller Solo-Geige und herrlich unprofessionellem Orchester. Mittwoch war dann das Deutschland-Polen-Spiel und da mich anscheinend in der Ferne doch das Fussballfieber gepackt hat (ausserdem braucht man ja als Nichtraucher ein Ersatz-Einstiegsthema), folgte ich der Einladung einer bosnischen Bekannten ins "Major Tom's". Alles sah sehr vorbereitet und arrangiert aus: Vor der Grossbildleinwand standen 2 grosse Tische: Einer voll mit Deutschlandfans, der andere mit polnischen! Und so uebertoenten wir uns gegenseitig bei allen Torchancen und total unberechtigten gelben Karten. Durch die glueckliche 90. Minute waren's die Deutschlandfans, die mit einem Laecheln im Gesicht das Lokal verlassen konnten. Die heiseren Kehlen wurden dann im "Hairy Lemon" mit kuehlem Blondem angefeuchtet und auf einmal stellte sich beim Kennenlernen heraus, dass alle, ausser der Bosnierin, Physikstudenten oder -doktoranten waren. Wird man die denn nie los! Der Abend klang trotzdem friedlich mit Diskussionen ueber Veroeffentlichungsdruck und Maxwellgleichungen aus. Am Donnerstag erhielten Neil und ich waehrend der Arbeit eine email von "Michael" vom IAESTE LC aus Leoben, Oestereich, dass er grad in Dublin sei und Lust hatte, mit uns ein Bier trinken zu gehen. Neil konnte sich nicht erinnern, Michael schon einmal getroffen zu haben, ebensowenig wie ich, aber er sagte ab und ich zu. Michael hatte seine Freunde mitgebracht. Ein gesamtes LC, bestehend aus 10 Leuten und in Partylaune. So wurde der Donnerstag Abend wieder wider Erwarten ein teurer und langer. Ich betaetigte mich als Fremdenfuehrer und die Truppe als Touristen. Daraufhin bewegte ich mich am Freitag direkt nach der Abend (mit einem kurzen Besuch des marokkanischen Marktes) nach Hause und blieb da. Wahrscheinlich hab ich dadurch etwas verpasst, denn Freitag war "Bloomsday". Leopold Bloom ist die Hauptfigur von James Joyce's "Ulysses", einem in Dublin spielendem Buch, auf das jeder zweite Pub Bezug nimmt, denn in der Geschichte bewegt sich Bloom wahrscheinlich durch alle Kneipen Dublins. Und am Bloomsday laufen in viktorianische Kleider gewandete Verehrer Joyce's durch die Strassen und rezitieren dramatischen Kram. Die Geschichte allerdings hab ich trotzdem nicht verstanden, obwohl sie lose an die Odyssee (Ulysses = Odysseus) angeknuepft ist. Gluecklicherweise hatte ich nicht die wahnwitzige Idee, das Buch zu lesen (es gilt als einer der unlesbarsten Klassiker), sondern die, mir zur Feier des Tages den zugehoerigen Film aus den 50er/60er Jahren anzuschauen. Selbst meine kanadische Mitbewohnerin war hinterher genauso schlau wie vorher. Egal! Es gibt ja noch andere beruehmte irische Schriftsteller. Yeats zum Beispiel. (Grummel)
Samstag hab ichs dann endlich nach Galway geschafft und puenktlich zu meiner Ankunft an der Westkueste hoerte der irische Sommer auf und empfing mich traenenreich. Doch davon ein andermal mehr.
Ich wuesche euch allen einen schoenen Sommer und alles Gute. Und noch nen tollen Abend. Und ein besser funktionierendes Keyboard als dieses %§#*$-Ding hier im Internetcafe. Macht es gut und bis bald

Carpe diem

der Stefan